Museumsbrief Nr. 02, 1/1995, Die Forschungsbohrungen Sieblos 1994

01.01.1995
Von: Prof. Dr. Erlend Martini

Die Forschungsbohrungen 1994

Prof. Dr. Erlend Martini - 1995

Seit dem Beginn des Abbaues der Faulschlammkohle im vergangenen Jahrhundert wurden in den tertiären Ablagerungen am Westhang der Wasserkuppe Fossilien gefunden, auf die HASSENCAMP schon 1856 aufmerksam machte. Die zahllosen Fische, Schnecken und Wasserasseln machten den Fundort rasch bei den Paläontologen und Geologen bekannt. Seltenere Funde waren Käfer, Libellen, Frösche und Reste von Krokodilen, Fledermäusen, Vögeln sowie in jüngerer Zeit der verdrückte Schädel eines kleinen Säugers, der mit dem heutigen Hirschferkel verwandt ist. Unter den Pflanzenfunden sind besonders Seerosenblätter und –samen häufig. Für die Bildung der Faulschlammkohle waren Kieselalgen (Diatomeen), Ölalgen (Botryococcus) und andere mikroskopisch kleine Formen wichtig.

Neben den gebänderten Faulschlammablagerungen (Dysodil), die die Masse der Fossilien enthalten, kann man Schneckenmergel und -kalke, gebänderte Kalke, Tone, Sande, Quarzite und andere Gesteine in den alten Halden finden. Trotz des ehemals recht umfangreichen Bergbaues und Überlieferung von Unterlagen über die in den Stollen und Bohrungen angetroffenen Gesteine war die Lage und Verteilung der einzelnen Gesteinsarten im Bereich der Grube Sieblos nicht eindeutig bekannt. Damit war es unmöglich, die Entwicklung des ehemaligen Gewässers und seiner Ablagerungen zu rekonstruieren, das mit einem Alter von ca. 35 Millionen Jahren das einzige seiner Art in Mitteleuropa ist. Auch war nicht geklärt, wie es überhaupt zu der Bildung der Lagerstätte kommen konnte.

Nach eingehenden Voruntersuchungen durch geologische Kartierung, Probebohrungen und der Anlage von mehreren Schürfen (MARTINI 1988) war klar, daß nur eine oder mehrere Kernbohrungen zur Klärung der anstehenden Probleme in Frage kommen konnten. 1994 wurden dann mit Hilfe des Geologischen Landesamtes in Wiesbaden sowie eines Projektes („LEADER“) des Biosphärenreservates Rhön und der Gemeinde Poppenhausen zwei Bohrungen im Gelände der ehemaligen Grube Sieblos niedergebracht.

Beide Bohrungen standen am Waldrand oberhalb des Haldengeländes in 704 bzw. 708 m Höhe. Die erste Bohrung (Sieblos 1994/1) wurde im August nach den alten Bergwerksunterlagen mehr im nördlichen Randbereich und die zweite Bohrung (Sieblos 1994/2) im Oktober im zentralen Teil des Vorkommens angesetzt. Sieblos 1994/1 erreichte eine Tiefe von 46,70 m und traf unter einer Rutschmasse aus Tuffen und Basalten nach 8,70 m auf die tertiäre Abfolge, die hier aus Tonen, Schneckenmergelkalken, Sanden und kohligen Lagen bestand. Bei 38,80 m erreichte man unerwartet Gesteine des Muschelkalkes, die bis zur Endtiefe von 46,70 m anhielten (siehe Abbildung).

In Sieblos 1994/2 kam man nach 10,65 m mächtigen Tuffen der Wasserkuppe in einen hellen Sand mit Sandsteinbrocken aus dem Mittleren Buntsandstein, dann in Seekreide mit Schnecken und kohlehaltigem Ton. Nach weiteren sandigen Tonlagen folgten gebänderte Mergel und Faulschlammkohlen (Dysodil) sowie der von den Halden her bekannte gebänderte Kalk. Danach wurde hellgrauer Sand mit Quarzit und ein sandiger Ton erbohrt. Zwischen 46,03 und 49,55 m wurde ein Schuttstrom aus zerstückelten Tonsteinen des Oberen Buntsandsteins und Brocken aus dem Mittleren Buntsandstein festgestellt. Bis zur Endtiefe von 57,06 m folgte dann wieder toniger Sand und hellgrauer Ton (siehe Abbildung).

Die Bohrkerne wurden inzwischen im Detail aufgenommen und photographiert. Die wissenschaftliche Auswertung des Kernmaterials wird voraussichtlich zwei Jahre dauern. Die Ergebnisse sollen dann in den „Geologischen Abhandlungen Hessen“ veröffentlicht werden. Schon jetzt kann man jedoch sagen, daß die Masse der in den Halden gefundenen oder in Museen aufbewahrten Gesteine in eine nachprüfbare Abfolge gebracht werden kann. Man kann Randbereiche mit überwiegend Schneckenmergeln und einen zentralen Bereich mit einer wohlgebänderten Abfolge mit kohligen Lagen unterscheiden.

Die Entstehung der sogenannten Sieblos- Schichten in einem vor ca. 35 Millionen Jahren aktiven Einbruchsgebiet zur Unter- Oligozän- Zeit wird immer wahrscheinlicher. Das Vorkommen liegt in unmittelbarer Nachbarschaft einer großen Verwerfung im südlichen Anschluß. Hier konnten Oberflächenwässer in die Tiefe bis zu löslichen Gesteinen des Zechsteins (Salze, Gips) vordringen. Durch Lösung entstanden dort Hohlräume , über denen im Unter- Oligozän Gesteinsschichten nachbrachen. So ist auch die Erhaltung des Muschelkalks in der Bohrung Sieblos 1994/1 in über 38 m Tiefe zu erklären, ein Gestein, das heute in normaler Lagerung erst in Richtung Abtsroda wesentlich höher zu finden ist. In dem Einbruchgebiet entwickelte sich eine Seenlandschaft, die zunächst die Verwitterungsprodukte der Umgebung wie Sand und Ton aufnahm und in der sich ein reichhaltiges Leben entwickelte. Jahreszeitliche Algenmassenvermehrungen führten zu einer Bänderung der Ablagerungen. Aufgrund der hohen organischen Produktion kam es schließlich zur Bildung von Faulschlammkohlen, die das Ziel der bergbaulichen Tätigkeiten im vergangenen Jahrhundert waren. Anhaltende Sackungsvorgänge sind an Verfältelungen und kleinräumiger Zerstückelung in manchen Schichten zu erkennen. Diese Vorgänge verliefen nicht überall gleichmäßig, sondern betrafen jeweils nur Teile des Seeuntergrundes. Dadurch konnten sich wahrscheinlich einzelne Becken mit unterschiedlichen Mächtigkeiten einzelner Lagen bilden. Dies könnte zu den sehr unrentablen Lagerungsverhältnissen der abbauwürdigen Gesteine (Kohle, Dysodil) geführt haben, unter denen der Bergbau zu leiden hatte. Entsprechende Vorgänge, nur in größerem Maßstab, führte in Mitteldeutschland zur Bildung der dortigen Braunkohlen. Auch dort konnte ein enger Zusammenhang von der Mächtigkeit der Kohle und Lösungserscheinungen im Untergrund nachgewiesen werden (EISSMANN 1985). Nach Abklingen der Senkungstendenzen verlandeten schließlich die Seen und wurden Millionen Jahre später von den Tuffen und Basalten der Wasserkuppe überdeckt und so vor der Abtragung und Vernichtung bewahrt.

Abb 1
Abb1.: Profile der Bohrungen  1994/1 und 1994/2

 


Literatur:

Eissmann, L. (1985): 50 Millionen Jahre Subrosion. Über Persistenz und Zyklizität von Auslaugungsprozessen im Weißelsterbecken.
Geophys. Geol. Geophys. Veröff. KMU Leipzig, 3: 31- 65, 14 Abb., 1 Tab., Berlin

Hassencamp, E. (1856): Mittheilungen an Professor Bronn gerichtet. N. Jb. Min. Geogn. Geol. Petrefactenkde., Jg. 1856: 420- 423, Stuttgart.

Martini, E. (Koord.) (1988): Geologie und Paläontologie der oligozänen Ablagerungen von Sieblos an der Wasserkuppe/Rhön.
Beitr. Naturkde. Osthessen, 24: 5-203, div. Abb., Tab., Taf., Fulda


Verfasser: Prof. Dr. Erlend Martini, Parkstr. 40, 61476 Kronberg / Taunus


Anmerkung der Redaktion:
Die Forschungsbohrungen Sieblos 1994/1 und Sieblos 1994/2 wurden unter Leitung von Herrn Prof. Dr. E. Martini (Kronberg) und Herrn Prof. Dr. P. Rothe (Universität Mannheim) durchgeführt.
Die wissenschaftliche Auswertung des Probenmaterials erfolgte durch Spezialisten, u. a. aus dem Geologisch- paläontologischen Institut der Universität Frankfurt am Main, dem Lehrstuhl für Geologie der Universität Mannheim, dem Hessischen Landesamt für Bodenforschung in Wiesbaden und anderen.
Die Ergebnisse können mittlerweile in folgender Publikation nachgelesen werden:

Die alttertiäre Fossillagerstätte Sieblos an der Wasserkuppe / Rhön
Erlend Martini und Peter Rothe, 1998
Geologische Abhandlungen Hessen, Band 104
Hessisches Landesamt für Bodenforschung
ISBN 3-89531-806-X


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