Museumsbrief Nr. 14, 2/2010, Die Forschungsbohrungen Sieblos 1998 und 1999

Von: Prof. Dr. Erlend Martini
auf 17 Juni 2010

Die Forschungsbohrungen Sieblos 1998 und 1999

Prof. Dr. Erlend Martini - 2010

Nachdem mit den beiden Kernbohrungen Sieblos 1994/1 und 1994/2 die bis dahin ungeklärte Abfolge der Sedimente im unteroligozänen Siebloser Gewässer (ehemalige Grube Sieblos) zwar weitgehend rekonstruiert werden konnte (siehe Museumsbrief Nr. 2), blieben doch einige Fragen unbeantwortet. Die beiden Bohrungen hatten offensichtlich einen Randbereich (1994/1) und eine mehr im Zentrum des Gewässers gelegene Abfolge (1994/2) erbohrt, wobei in der Bohrung 1994/2 eine zunächst als „Brekzie“ bezeichnete vulkanische Einlagerung schwierig zu interpretieren war (Martini & Rothe 1998). Ehrenberg & Hickethier (1998) nahmen sogar an, dass es sich um umgelagerte vulkanische Produkte aus einer prä-unteroligozänen Vulkanphase handeln könnte. Unklar war auch die südliche Ausdehnung des  damaligen   Gewässers sowie die Verbreitung des Quarzit-Horizontes (Tertiärquarzit) in den die fossilführende Sieblos-Formation unterlagernden Kaolinitischen Bildungen (vgl. Abb. 3). Auch hatte nur die Bohrung Sieblos 1994/1 den nichttertiären Untergrund in Form von Gesteinen des Muschelkalks erreicht.

Abb 1

(aus Böhme et al. 2005).


Vordringlich war zunächst die Erkundung der Ausdehnung der Sieblos-Formation nach Süden. Dort waren von Pirrung (1998) im Rahmen von Schweremessungen drei rundlich abgegrenzte Bereiche erkannt worden, die als kesselförmige Einsenkungen interpretiert wurden. Am Rand der nördlichsten Struktur wurde auf dem am Waldrand gelegenen Weg die Bohrung Sieblos 1998 im Oktober 1998 angesetzt (Abb. 1), die wie die Bohrung Sieblos 1999 von der Erkelenzer Bohrgesellschaft mbH, 54516 Wittlich, mit gegenüber den Bohrungen von 1994 besserem Erfolg und guten Bohrkernen niedergebracht wurde (Abb. 2).

In dieser Bohrung wurden von 0,20 bis 15,80 m wie auch in der Bohrung Sieblos 1994/2 zunächst die Basis-Tuffe des Wasserkuppen-Vulkanismus angetroffen. Überraschend war der Fund von Fossilien in den Tuffen zwischen 12,90 und 14,25 m. Die nähere Untersuchnung (Böhme et al. 2005) erbrachte neben einigen Kleinsäuger-Zähnen fragmentierte Reste von Fröschen, Salamandern, Panzerschleichen, Krokodilen und Gastropoden, die sich auf zweiter Lagerstätte befanden. Bei der Förderung der Tuffe wurden diese Reste offensichtlich aus einem noch unbekannten oberoligozänen Sediment-Vorkommen im Untergrund der Wasserkuppe mitgerissen  und zusammen mit den Tuffen erneut abgelagert. Die kleine Fossilgemeinschaft zeigt große Ähnlichkeit mit der der oberoligozänen Doline Oberleichtersbach (Martini 2008), auch wenn sie nicht deren Reichhaltigkeit erreicht. Unter den Tuffen folgte von 15,80 bis 32,10 m die Sieblos-Formation, im obersten Teil  mit Sanden und Tonen mit gebleichten Buntsandstein-Brocken, unter denen die fossilhaltigen Schichten mit Schneckenmergeln und kohligen Abschnitten angetroffen wurden. Die Abfolge entsprach in etwa der der nördlichen  Bohrung Sieblos 1994/1 und wurde in Randnähe des ehemaligen Gewässers abgelagert. Innerhalb der liegenden Kaolinitischen Bildungen zwischen 32,10 und 55,80 m  befand  sich,  wie   in der zentralen Bohrung 1994/2, ein  Quarzit-Horizont (Tertiärquarzit) bei 43,00-43,20 m. Zwischen 55,80 und 58,60 m wurde unerwartet verstürzter, steilstehender Muschelkalk erbohrt, unter dem wiederum Tone und Sande der Kaolinitischen Bildungen folgten.

Abb 2
Abb. 2: Die Bohrung Sieblos 1998 im südlichen  Randbereich des Grubengeländes im Oktober

 

Unterlagert wurden diese von horizontal lagerndem Unteren Muschelkalk, in dem die Bohrung Sieblos 1998 bei 80,00 m eingestellt wurde. 

Die Ende September 1999 durchgeführte Bohrung Sieblos 1999 wurde in nur 10 m Abstand neben der Bohrung Sieblos 1994/2 angesetzt (Abb. 1), um insbesondere die Fossilabfolge im gebänderten Teil und die sogenannte Brekzie näher zu untersuchen. Auch sollte das Liegende der tertiären Abfolge erreicht werden. Unter Wegschotter bis 0,40 m wurden die basalen Tuffe des Wasserkuppen-Vulkanismus bis in eine Tiefe von 9,45 m erbohrt. Es folgte die Sieblos-Formation in  ihrer normalen Ausbildung von hangenden Sanden und Tonen über fossilführenden Ablagerungen mit einer gebänderten Abfolge zwischen 21,10 und 24,75 m. Aller-dings ist diese gegenüber der Bohrung 1994/2 um ca. 5 m nach oben versetzt, führt aber ansonsten die gleichen Mikro- und Nannofossilien wie diese. Die obere fossilführende Lage in der Bohrung 1994/2 scheint hier zu fehlen und die gebänderten Kalke im untersten Teil der Sieblos-Formation sind reduziert. In den ab 35,00 m folgenden Kaolinitischen Bildungen wurde bei 47,55 bis 47,76 m der Quarzit-Horizont (Tertiärquarzit) angetroffen. Die sogenannte Brekzie wurde in hervorragendem Zustand zwischen 51,86 und 56,10 m erbohrt. Die Bohrung Sieblos 1999 durchörterte danach weitere Sande und Tone der Kaolinitischen Bildungen bis in eine Tiefe von 63,85 m. Darunter folgte horizontal lagernder Unterer Muschel-kalk, in dem die Bohrung bei 66,00 m eingestellt wurde.

Abb 3

Abb. 3: Profile der Bohrungen Sieblos 1909, 1994/1, 1994/2, 1998 und 1999 sowie deren stratigraphische Einordnung (aus Martini & Rothe 2005).


Von besonderem Interesse war der Kontakt zwischen der Brekzie und den Kaolinitischen Bildungen. War dieser in der Bohrung Sieblos 1994/2 wegen schlechter Bohrqualität ungenügend erhalten gewesen, konnte er in der Bohrung Sieblos 1999 in gutem Zustand gefördert werden. So war das Material der Brekzie, das aus einer Mischung von xenolitischen Komponenten  vorwiegend aus dem Oberen Buntsandstein (Röt) und weniger  als  10 %  an  juvenilen  Pyroklasten bestand, deutlich in einem steilen Kontakt gegen die Sande und Tone der Kaolinitischen Bildungen abgesetzt (Abb. 4). Dadurch wurde die Interpretation dieses vulkanischen Materials als Füllung einer jungtertiären Durchschlagsröhre abgesichert (Rothe et al. 2003) und ein präoligozäner Vulkanismus (Ehren-berg & Hickethier 1998, 2002) ausgeschlossen.

Abb 4

Abb. 4: Kernstrecke 55,73 bis 55,91 m in der Bohrung Sieblos 1999, einen Teil des vulkanischen Ganges (rechts) und das kaolinitische Nebengestein (links) zeigend (aus Martini & Rothe 2005).


Am Fossilbestand änderten die beiden Bohrungen wenig. In den gebänderten Abschnitten und im Schneckenmergel der Sieblos-Formation wurden die schon bekannten Mikrofossilien wie Diatomeen, Dinoflagellaten, Schwammnadeln, Nannoplankton sowie diverse Gastropoden gefunden (vgl. Tab. 1 in Martini & Rothe 2005). Erwähnenswert sind jedoch 2 Kleinsäugerzähne aus dem geschlämmten Bohrkernmaterial: ein zerbrochener Zahn von Melissiodon,  einer hamsterähnlichen Gattung, und ein Milchzahn von Theridomys, einer im Oligozän häufigen, inzwischen ausgestorbenen Maus-ähnlichen Kleinsäuger-Gattung. In Ergänzung zu den Pflanzenfunden konnte in der Bohrung Sieblos 1999 bei 48,5-48,8 m eine Anreicherung von Quasisequoia couttsiae- und Doliostrobus stern-bergeri-Nadeln neben weiteren unbestimmbaren Pflanzenresten festgestellt werden.

Die detailierte mineralogische und geochemische Untersuchung ins-besondere der gebänderten Sedimente (Rothe 2006) ergab im Zusam-menhang mit den Daten der früheren Bohrungen 1994/1 und 1994/2 eine Unterscheidungsmöglichkeit von Randgebieten und Seemitte. Die Karbonate des Randbereichs besitzen einen höheren Tonanteil und enthalten nur Kalzit als Karbonatphase, während die Sedimente der Seemitte reinere Karbonate enthalten, bei denen zunehmend Dolomit-Horizonte zum Hangenden hin zu beobachten sind. Hier sind in der Bohrung 1999 auch deutlich höhere Magnesium, Natrium und Lithium-Gehalte zu verzeichnen. Diese können Hinweise auf eine Einengung des Wasserkörpers sein und zugleich die Salinitäts-Entwicklung zu etwas „salzigerem“ Wasser anzeigen. Ein nur 8 cm langes gebändertes Kernstück aus der Bohrung Sieblos 1998 (31,90-32,00 m), das eine deutliche Warven-schichtung von dunklen tonigen Kohlenstoffreichen und hellen Karbonatreichen Lagen zeigt, wurde in 48 ca. 0,5 mm dicke Proben zerlegt und auf organischen Kohlenstoff sowie auf Strontium, Magnesium, Natrium und Lithium untersucht. Letztere zeigen immer da höhere Konzentrationen, wo auch höhere Kohlenstoffwerte vorliegen, Hinweis auf eine erhöhte Eindunstung des Gewässers. In Verbindung mit der Warven-Schichtung ergeben sich für diese Abschnitte mehrere Jahre andauernde Trockenperioden.

In drei von den vier Sieblos-Bohrungen wurde der vortertiäre Untergrund in Form von Unterem Muschelkalk erreicht und zwar in unterschiedlichen Tiefen. Nach den derzeitigen Röt-Vorkommen (Plattensandstein und Braunrote Tonsteine) in der Umgebung  dürfte die Grenze Röt/Muschelkalk ehemals bei etwa 740 m ü. NN gelegen haben. Unter der Voraussetzung, dass es sich in allen Fällen um Wellenkalk 1 handelt, ergeben sich Absenkungsbeträge von ca. 100 m im Norden und ca. 125 m im zentralen und südlichen Teil.  Bedeutsam ist in diesem Zusammenhang auch der verstellte, steil einfallende Muschelkalk-Block in der Bohrung Sieblos 1998 bei ca. 646 bis 649 m ü. NN. Da in der Rhön Subrosionserscheinungen aufgrund der zechsteinzeitlichen Salinarablagerungen nicht selten sind, liegt es nahe, auch die Hohlform des Siebloser Gewässers entsprechend zu interpretieren.  Zusätzlich unterstützen die schon erwähnten Schweremessungen von Pirrung (1998) mit dem Nachweis von drei rundlichen Strukturen im Gebiet der ehemaligen Grube Sieblos diese Deutung.

Insgesamt konnten mit den beiden Bohrungen Sieblos 1998 und 1999 die Ausdehnung und Entwicklung des ehemaligen Gewässers weitgehend geklärt, die Sedimente in eine geordnete Abfolge gebracht, die Natur der vulkanischen Einlagerung (Brekzie) bestimmt und die Lagerungsverhältnisse gedeutet werden.


Literatur:

Böhme, M., Engesser, B., Martini, E. & Storch, G. (2005): Eine oberoligozäne Fauna in den Basis-Tuffen des Wasser-kuppen-Vulkanismus (Rhön). – Geol. Jb. Hessen, 132: 69-78; Wiesbaden.

Ehrenberg , K.-H. & Hickethier, H. (1998): Vulkanische Bildungen in den Forschungsbohrungen Sieblos 1994/1 und 1994/2, mit Hinweisen auf prä-unter-oligozänen Vulkanismus in der Rhön. – Geol. Abh. Hessen, 104: 77-84; Wiesbaden.

Ehrenberg, K.-H. & Hickethier, H. (2002): Vulkanologische Karte der Wasserkuppenrhön 1:15000 mit Erläuterungen. Mit Vergleichen zur Kuppenrhön. – Hess. L.-Amt Umwelt u. Geologie: 28 S.; Wiesbaden.

Martini, E. (Hrsg.) (2008): Fossilgemeinschaften der Do-line Oberleichtersbach (Oligo- zän). – Courier Forschungs-institut Senckenberg, 260: 287 S.; Frankfurt a.M.

Martini, E. & Rothe, P. (Hrsg.) (1998): Die alttertiäre Fossillagerstätte Sieblos an der Wasser-kuppe/Rhön. – Geol. Abh. Hessen, 104: 274 S.; Wiesbaden.

Martini, E. & Rothe, P. (2005): Die Fossillagerstätte Sieblos an der Wasserkuppe/Rhön – Neue Daten zur Genese, zum Alter und zur Fossilführung. – Geol. Jb. Hessen, 132: 55-68; Wiesbaden.

Pirrung, B.M. (1998): Zur Entstehung isolierter alttertiärer Seese-dimente in zentral-europäischen Vulkanfeldern. – Mainzer Natur-wiss. Archiv, Beih. 80: 117 S.; Mainz.

Rothe, P. (2006): Mineralogische und geochemische Untersuchungen an Sedimenten der For-schungsbohrungen Sieblos 1998 und 1999 (Wasser-kuppe/Rhön). – Geol. Jb. Hessen, 133: 83-94; Wiesbaden.

Rothe, P., Martini, E. & Nesbor, H.-D. (2003): Phreatomagmatischer Lapilli-Aschentuff-Gang in den Sedimenten der Fossil-lagerstätte Sieblos. Ein Hinweis zum Alter des Vulkanismus in der Rhön. – Jber. Mitt.oberrhein. geol. Ver., N.F. 85: 461-472; Stuttgart.


Verfasser:  Prof. Dr. Erlend Martini, Parkstraße 40, 61476 Kronberg/ Taunus    


Copyright von Text und Fotos: Sieblos- Museum Poppenhausen