Die "Theerkohlengrube Sieblos" und der "Bahnbau im Lütterthal"
Ortwin Luckhard - 1998
Man schrieb das Jahr 1896. Die Siebloser Grube war ein Jahr zuvor in den Besitz der Berliner Bergbaugesellschaft „Theerkohlengrube Sieblos“ übergegangen und versprach nun doch rentabel betrieben werden zu können. Seit die beiden Rhönbahnen Fulda – Gersfeld 1888 und Fulda – Hilders 1890 eröffnet waren und sich ein für damalige Verhältnisse recht ansehnlicher Ausflugs- und Fremdenverkehr in Richtung Rhön entwickelte, der aber das Lüttertal unberücksichtigt ließ, formierte sich in Poppenhausen und Weyhers eine Interessengemeinschaft für den Bau einer Kleinbahn oder Nebenbahnstrecke von Lütter über Weyhers nach Poppenhausen zur wirtschaftlichen und fremdenverkehrsmäßigen Erschließung dieser Region. Da kam die Wiederinbetriebnahme der Siebloser Grube wie gerufen, konnte doch die Weiterführung der vorgesehenen Strecke über Sieblos und vorbei an Abtsroda bis hin zur Grube das zu erwartende Frachtaufkommen die Rentabilität der Bahn wesentlich steigern.
Abb. 1: Streckenskizze zur "Bahn im Lütterthal" |
Seit Inbetriebnahme der Rhönbahn Fulda Gersfeld wurde der Post- und Personenverkehr nach Poppenhausen vom Bahnhof Lütter aus von im Auftrage der Post über Weyhers verkehrenden Kutschen abgewickelt. Die drei auf holpriger und zum Teil sehr steiler, schlecht ausgebauter Straße fahrenden und deswegen oft zu Bruch gegangenen Wagen trugen die vielsagenden Spottnamen “Arche Noah“, „Jammerrad“ und „Marterkasten“. Fracht mußte mit Pferde-, Ochsen- oder Kuhgespannen mühsam von und zum Bahnhof transportiert werden, was auch für den Grubenbetrieb in Sieblos ein umständliches Verfahren darstellte. Besonders die Gemeinde Poppenhausen, repräsentiert durch ihren Bürgermeister, den örtlichen Brauereibesitzer und die Gastronomen, sowie der Vorstand des 1896 in Weyhers gegründeten Rhönklub- Zweigvereins rührten die Werbetrommel für den Bau der Bahnstrecke. Es wurde ein Ausschuß ins Leben gerufen, der die notwendigen vorbereitenden Tätigkeiten in Angriff nahm. Alle Hebel wurden in Bewegung gesetzt, um höheren und höchsten Ortes das Interesse und die Zustimmung für das Bahnprojekt zu gewinnen. Petitionen ergingen an die Landräte der Kreise Gersfeld und Fulda, an die Provinzregierung in Kassel, an die Landesregierung in Berlin und an die preußische Bahnverwaltung. Eine Denkschrift mit in blumenreichen Stil verfaßter Einleitung wurde zusätzlich auch einflußreichen Persönlichkeiten zugeleitet. Rentabilitätsberechnungen, in die man das Frachtaufkommen der Siebloser Grube mit einbezogen hatte, wurden erstellt, die Kosten für Planung, Landerwerb sowie Bau und Betrieb der Bahn ermittelt und viele Gespräche mit maßgeblichen Personen geführt. Der Regierungsrat Geigel, selbst aus der hiesigen Gegend stammend, verbrachte den Sommerurlaub regelmäßig in der Rhön und leistete hier unermüdliche Pionierarbeit für das Projekt, da er aufgrund seiner Dienststellung auch von höheren Behörden gehört wurde. Eine weitere Triebfeder war der Schriftführer des „Ausschusses für den Bahnbau im Lütterthal“, der Amtsvorsteher des Kaiserlichen Postamtes in Weyhers Karl Luckhard. Geworbene Förderer des Vorhabens trugen sich mit kleineren und größeren Beträgen - die Bandbreite reichte von 1 Mark bei weniger Begüterten bis hin zu 60 Mark beim Poppenhäusener Brauereibesitzer - in Zeichnungslisten ein, um die geschätzten Kosten der Vorarbeiten in Höhe von ca. 1500 Mark finanzieren zu können. Aber viele der zunächst begeisterten Zeichner zögerten mit der Zahlung, da die Angelegenheit sich hinschleppte und die staatlichen Stellen teils ablehnende, teils aufschiebende Stellungnahmen zum Bahnbau abgaben. So ist heute nicht mehr feststellbar, wie hoch der Gesamtbetrag an harter Goldmark war, der beim Bürgermeister vom Poppenhausen einging und wieviel für Vorarbeiten ausgegeben wurde. Bekannt ist lediglich, daß die eingezahlten Gelder auf ein Konto bei der Kreissparkasse Hettenhausen angelegt wurden. Die „Bergbau - Gesellschaft Theerkohlengrube Sieblos“ hatte nach einem werbenden Schreiben des Ausschusses für den Bahnbau sofort 300 Mark an den Gemeindevorstand von Poppenhausen überwiesen.
Abb 2: Werbendes Schreiben der „Bergbau-Gesellschaft Theerkohlengrube Sieblos“ |
Warum kam es letztlich nicht zu dem ersehnten Bau der Lüttertalbahn? Eine Grabrede, die uns genauen Aufschluß hierüber geben könnte, ist leider nicht überliefert. So bleiben nur Vermutungen: Lag es an der Trägheit und dem Unwillen der staatlichen Stellen einem Projekt gegenüber, das von der Basis des Volkes aus initiiert worden war? Waren die Rentabilitätsprognosen der geistigen Väter doch zu sehr durch die rosarote Brille betrachtet worden? Oder hatte der Staat auch damals schon ganz einfach kein Geld übrig, denn Preußen war sparsam. Hinzu kam dann auch noch die Unrentabilität der Siebloser Grube, die 1901 ihren Betrieb wieder einstellte.
Ein Positivum jedenfalls hatte der Negativ-Entscheid: eine unerfreuliche Stilllegungs-Prozedur in der zweiten Hälfte unseres Jahrhunderts ist der Bahn erspart geblieben.
Verfasser: Ortwin Luckhard
Copyright: Sieblos-Museum Poppenhausen