Museumsbrief Nr. 12, 2/2009, Die Evolution der Fische am Beispiel des "Dapaloides sieblosensis"

Von: Günter Lueg
auf 17 Juni 2009

Die Evolution der Fische am Beispiel des Dapaloides sieblosensis

Günter Lueg - 2009

An mich als Ruheständler der Veterinärmedizin trat man heran und meinte, ich könnte doch mal etwas über die Evolution der Fische schreiben. Fische kannte ich in meinem aktiven, beruflichen Leben nur als Nahrungsmittel für uns Menschen auf dem Teller und als Schmuckstück in manchen Aquarien oder Teichen. Von Evolution war da nie die Rede.

Aber halt, da war doch vor genau 200 Jahren in Shrewsbury, England, die Geburt eines Knaben, der zu dem bedeutendsten britischen Naturforscher wurde: Charles Robert Darwin (12. Februar 1809 - 18. April 1882). Der Name Charles Darwin ist untrennbar mit dem Begriff der Evolution verbunden. Nicht ganz unangefochten vertrat Darwin schon damals die Meinung, dass die Arten in der Tier- und Pflanzenwelt wandelbar sind. Auf ausgedehnten Reisen durch die Welt hatte er die Anpassung von Tieren und Pflanzen an ihre Umwelt studiert. Er fand heraus, dass die am besten an ihre Umwelt angepassten Individuen die größeren Überlebenschancen haben und so ihre Merkmale verbreiten können.

Weitere Namen, die in Verbindung mit der Evolutionsforschung genannt werden müssen, sind: Der französische Naturkundler Jean-Baptiste Lamark (1744 – 1829), der Augustinermönch Georg Mendel (1822 – 1884) und die Entdecker der doppelsträngigen Helixstruktur des Erbmoleküls DNA Francis Crick (*1916) aus England und James Watson (*1928) aus den USA.

Das Wort Evolution stammt vom lateinischen evolvere und bedeutet entwickeln. Nach Francesco J. Ayala (1988) bezeichnet man als Evolution die Entwicklung der Organismen im Laufe der Erdgeschichte. Sie entsteht aus dem Zusammenwirken von genetischen Variationen und der natürlichen Selektion.

Jeder Fisch ist ein Individuum mit einem eigenen DNA-Strang. Dieser enthält die genetischen Informationen, die in den Chromosomen verschlüsselt sind. Bei der Vielzahl der Eier, die ein weibl. Fisch produziert, - ein „Elternpaar“ produziert Tausende von Nachkommen - kommt es zu einer Vielzahl von Einzellebewesen. Nur die Individuen reproduzieren sich weiter, die eine geeignete Kombination der Erbanlagen besitzen, um sich besonderen Umwelteinflüssen anpassen zu können. So ist im Laufe der Jahrmillionen eine stetige Auswahl getroffen worden und nur die Exemplare und Arten überlebten, die in bestimmte Nischen passten.

Abb 1
Abb 1a

Abb.1+1a: Stammesgeschichtliche Entwicklung der Fische
Quelle: http://freenet-homepage.de/fischnet/indexO.htm


Fische in der Rhön?

Funde von Altbarschen in der „Braunkohlen-Grube“-Sieblos zeigen uns, wie weit die Urmeere vor ca. 30 Mio. Jahren die Landmasse bedeckt haben müssen. Wer denkt schon beim Essen von Fisch - zum Beispiel Karpfen - oder beim Blick in den Koi-Teich, an den in Sieblos gefundenen Dapaloides, unseren Museumsfisch?

Woher kommen unsere Fische, wie kam der Dapaloides nach Sieblos?

Vor ca. 500 Mio Jahren entwickelten sich aus wirbellosen Nahrungsfiltrierern fischähnliche Lebewesen, kieferlose Tiere (Agnatha); es waren wahrscheinlich Wasserbewohner, die dem Lanzettfisch (ca. 5 cm lang) sehr ähnlich waren. Bei den frühen Fischen gab es Individuen, die das Wasser in einem fleischig, rundem Maul ohne Kiefer filterten und nahrungsrelevante Bestandteile daraus entnahmen. Es gab aber auch schon Fischspezies, die sich auf räuberische Art und Weise  von Fischeiern, Insektenlarven und kleinen Krebsen ernährten.

Abb 2

Abb. 2: Haikouichtys gilt als erster Fisch und damit Urahn aller Wirbeltiere. Hier deutlich zu erkennen: die Rückenflosse (Pfeil)

 

Abb 3
Abb.3: Haikouella mutet an wie ein heutiges Lanzettfischchen. Am Kopf: sechs filigrane Kiemen
Aus: GEO 05/ Mai 2005


Der Lanzettfisch steht in der Tiersystematik zwischen Wirbeltieren und Wirbellosen, zwar schon mit „Rückenmark“ (Rückenstrang), jedoch ohne Gehirn. Augen, Nase und Ohren sind ansatzweise ausgebildet. Ein Herz, wie bei den Wirbeltieren, fehlt; dafür besitzt der Lanzettfisch ein sogenanntes Röhrenherz, das in einem offenen „Blutkreislauf“ das Blut durch seitliche Öffnungen ansaugt und nach vorne und hinten wieder auspresst. Es gibt also noch keine Blutgefäße, ebenso wenig wie ein stark ausgebildetes Skelett. Die Körperfestigkeit wurde durch eine  Art Panzer erreicht, die ein  Hautskelett darstellt. Dieses Hautskelett bestand aus Schuppen und Knochenplatten, welche die Bewegungsfreiheit der Tiere stark einschränkte, weshalb sie sich meistens am Boden der Gewässer aufhielten. In der weiteren Entwicklung wurden die Knochenplatten zurückgebildet und das innere Skelett, vor allem die Wirbelsäule, trat in den Vordergrund.

Abb 4

Abb. 4: Lanzettfisch
(Quelle: http://de.wikipedia.org)


Vor ca. 420 Mio Jahren entwickelten sich die ersten Knorpelfische (wie z.B. Haie und Rochen). Etwa vor 390 Mio Jahren (Mitte Devon) erscheinen parallel zu den Knorpelfischen die ersten Knochenfische, zu den fast alle unsere Speisefische gehören. Diese hatten durch Einlagerung von Calcium in ihr Knorpelskelett ein stabileres Skelett erhalten. Das Knochengerüst der meisten Fische besteht heute aus einem einfachen Schulter- und Beckengürtel und einer Reihe von Knochen zwischen den Wirbeln, welche die Flossen stützen. Die Gräten sind nicht mit den Rippen höherer Wirbeltiere zu vergleichen; es sind dies zusätzliche, stützende Skelettelemente, die in der Regel keine Verbindung zur Wirbelsäule haben. Sie entstehen in den Muskelscheidewänden der seitlichen Rumpfmuskulatur.

Die Atmungsorgane der Fische sind Kiemen, die paarweise im Kopfbereich angelegt sind. Mit ihrer Hilfe nehmen Fische Sauerstoff auf, der im Wasser gelöst ist. Durch die dünnen Membranen der Kiemen, in denen sich zahlreiche Blutgefäße befinden, kommt es zum Austausch von Sauerstoff und Kohlendioxyd im Blut der Tiere. Kiemen sind so aufgebaut, dass sie ständig mit Wasser in Kontakt stehen müssen; nur bei einigen Fischen ermöglichen die Kiemen sogar auch direkte Luftatmung.

Die ersten Knochenfische besaßen bereits eine Schwimmblase, mit der sie den Auftrieb im Wasser regulieren konnten. Die Schwimmblase ist ein Organ, das sich vom Darm des Fisches abgespalten hat. Der Körper der Fische war stromlinienförmig mit beweglichen Flossen und ihr Maul besaß bewegliche Kiefer mit scharfen Zähnen. Knorpelfische besitzen keine Schwimmblase, daher müssen sie ständig in Bewegung sein, um nicht auf den Grund zu sinken. Da aber der Knorpel wesentlich elastischer als ein Knochenskelett ist, haben Knorpelfische einen geringeren Energieverbrauch als Knochenfische in der Bewegung.

Meeresfische müssen sich dem Salzgehalt des Meerwassers anpassen. Da die Salzkonzentration im Wasser höher als im Gewebe und Blut der Fische ist, würden sie regelrecht ausgesaugt und vertrocknen (Osmose-Effekt). Spezielle Vorrichtungen in den Kiemen entsalzen das Meerwasser so stark, dass es der Konzentration der Körperflüssigkeiten entspricht. Süßwasserfische hatten ein umgekehrtes Problem; ihre Körperflüssigkeit enthält mehr Salze als das sie umgebende Wasser. Daher strömt über ihre Körperoberfläche dauernd Wasser in sie hinein, was sie aber über ihre Niere wieder ausscheiden können, denn sonst würden sie platzen.

Übrigens: Wale und Seekühe sind keine Fische. Sie sind die einzigen Säugetiere, die vollkommen an das Leben im Wasser angepasst sind. 

Der Dapaloides sieblosensis gehört zu den Knochenfischen (Klasse: Osteichthyes). Die Fischfunde aus der Sieblos-Grube sind vor allem Funde von Fischbrut und Jungfischen. Gefunden wurden recht gut erhaltene Exemplare und großen Mengen von Otolithen (Ohrsteine:  aus Kalk aufgebaute Gebilde, die im Gleichgewichtsorgan vorkommen); jede Fischart hat ihre, für sie charakteristische Ohrsteine. Die Dapaloides-Funde in der Grube von Sieblos sprechen für ein Ablagerungsmilieu mit geringem Salzgehalt im Wasser in dem damaligen Gebiet.  

Süßwasserfische aus der Zeit des Dapaloides sind die Amiidae (Schlammfische) und die Umbriidae (Hundsfische). In den USA lebt heute noch ein Verwandter der vor ca. 45 Mio Jahren entstandenen Art der Amiidae, der Amia calva (Kahlhecht). Dieser Fisch lebt in langsam fließenden und stehenden Gewässern.

Abb 5
Abb. 5: Hundsfisch
(Quelle: http://de.wikipedia.org)

 

Abb 6
Abb. 6: Schlammfisch/Kahlhecht
(Quelle: http://de.wikipedia.org)

 

Ein weiterer Zeitgenosse von Dapaloides ist der Umbra weileri aus dem Neuwieder Becken (Mittelrhein bei Koblenz). Die Umbriidae lebten in sauerstoffarmen Gewässern und mussten atmosphärische Luft von der Wasseroberfläche aufnehmen und veratmeten diese über die Schwimmblase, die mit dem Darm in Verbindung stand.

Da beim Dapaloides ein vollständig verknöchertes Skelett vorliegt, zählt er zu den echten Knochenfischen. Diese entwickelten sich im Süßwasserökosystem, von denen manche, wie unser Dapaloides, ins Meer abgewandert sind. Diese Arten zählen zu den Percoides (echte Barsche, ca. 10.000 Arten), zu finden bis in eine Tiefe von 200 Metern an warmen Küsten. Hier bilden die vielen bunten Barsche eine herrliche Kulisse für die heutigen Hobbytaucher.

Abb 7
Abb. 7: Roter Bundbarsch
(Quelle: http://de.wikipedia.org)

 

Abb 8
Abb. 8: Afra Buntbarsch
(Quelle: http://www.scalare-fulda.de/aquarium11.b.html)

 

Abb 9

Abb. 9: Sajca- Buntbarsch
(Quelle:
 http://www.aqua4you.de/fischart192.html)


Der Dapaloides gehört zu den Acanthopteri (Stachelflosser), diese gelten als die vollkommensten Fische. Sie haben Stachelstrahlen in den Rücken- und Afterflossen, sowie zweiteilige Rückenflossen und brust- oder kehlständige Bauchflossen. Unser Dapaloides muss ein räuberischer Fisch gewesen sein, denn die Merkmale wie ein großer Kopf, große Augen und das mit scharfen Zähnen bewaffnete Maul sprechen dafür.

Irgendwann müssen Umwelteinflüsse von enormen Ausmaßen den Lebensraum von Dapaloides so stark verändert haben, dass sich diese Fischart nicht mehr den veränderten Bedingungen ihrer Umwelt anpassen konnte und dies zum Aussterben dieser Art führte. So bleibt uns nur der Blick auf die versteinerten Zeitzeugen, vor allem auf Jungfische und Otolithen von Dapaloides sieblosensis.

An dieser Stelle muss ich an  zwei Männer erinnern, die untrennbar mit dem Dapaloides sieblosensis verbunden sind. Es sind Emil Conrad Hassenkamp, der 1847 eine Apotheke in Weyhers führte, und Hugo Schubert aus Poppenhausen-Tränkhof, Fliegerstraße 1. 

Hassenkamp erkundete die Gegend um die Braunkohlenhalde bei Sieblos in den Jahren 1847 – 1863; Schubert setzte diese Arbeit ab 1980 sehr erfolgreich fort. Ohne diese beiden Männer wäre unser Dapaloides sieblosensis wahrscheinlich noch nicht entdeckt worden.

Wenn nun wieder einmal „Zanderfilet an Blattspinat mit Petersilienkartoffeln“ auf der Speisenkarte des Hotels zu lesen ist, dann denken Sie bitte einen Moment an Dapaloides sieblosensis, das Wappentier unseres Sieblos Museums, den Urahn des Zanders.

Abb 10
Abb.10: Dapaloides sieblosensis (Quelle: Sieblos- Museum Poppenhausen)

 


Literatur und Weblinks:

Brehms Tierleben: Allgem. Kunde des Tierreichs, 2. Band: Fische

Fiedler, Kurt (1991): Lehrbuch der spez. Zoologie, 2. Band, 2. Teil : Fische, Gustav Fischer Verlag Jena

Martini, Erlend u. Reichenbacher, Bettina (2007): Nanoplankton u. Fisch-Otolithen in den mittleren Pechelbronn-Schichten.

Nelson, Joseph S. (2006): Fishes of the world, Wileg, John u. Sons

Probst, Ernst (2008): “Rekorde der Urzeit”, Grimm Verlag

Reichenbacher, Bettina (1995): „Unteroligozäne Fischotolithen“, Palaeontologische Zeitschrift, Band 69 ,

Spektrum der Wissenschaft (1988): Verständliche Forschung: „Evolution“,v. Ernst Mayer 7. Aufl.1988

Der Spiegel Nr. 4; 19.1.1909; S. 100 f.

www.das-tierlexikon.de

www.msn.de.encarta

www.planet-wissen.de

www.tiere-online.de/fische

www.world-of-animals.de/Tierlexi


 Verfasser: Günter Lueg, Marienstr. 32, D- 36163 Poppenhausen (Wasserkuppe)


 Copyright: Sieblos- Museum Poppenhausen